Testimonials und die Tyrannei der Masse

Neulich im SPON-Forum gelesen:

Ganz offenbar ist Persönlichkeits-Werbung in Zeiten von Shitstorm und Tyrannei der Masse keine gute Idee.

Der SPON-Forist tao68 kommentierte damit einen Artikel über den Kundenfrust bei 1&1, der trotz (oder gerade wegen?) der Image-Kampagne mit „Mr. Kundenzufriedenheit“ Marcell D’Avis scheinbar immer noch vorherrscht. Die Kampagne lief seit Ende 2009 und wurde immer mal wieder variiert.

Zwar hat sich die Service-Qualität von 1&1 gemäß der DSL-Kundenumfrage der Computerbild mittlerweile um mehr als eine Schulnote verbessert, das Image konnte davon jedoch nicht profitieren. Das Produkt ist also besser geworden, aber die Werbung kann genau das nicht vermitteln. Was ist da nur schief gelaufen?

Service ist gerade bei Telefon- und Internet-Providern ein heikles Thema. Jeder scheint mit einem der vielen Anbieter schon einmal sein ganz persönliches Service-Erlebnis gehabt zu haben. War es vielleicht ein Fehler von 1&1, Kundenzufriedenheit und Service zum Thema einer Kampagne zu machen? Immerhin bot sich damit die Chance, sich von den Wettbewerbern positiv abzuheben…

Oder wurde eine an sich gute Idee einfach nur schlecht umgesetzt? Selbst eine vielfach preisgekrönte Agentur und ein Oscar-prämierter Regisseur konnten nicht verhindern, dass diese Kampagne hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit ein Flop war. Die Inszenierung eines Mitarbeiters als personifizierte Service-Garantie schoss vielleicht sogar über das Ziel hinaus und hat Erwartungen geweckt, die nicht zu halten waren.

Insofern: Chance vertan und klassisch ausgekontert – der Vorteil entpuppte sich als gefährlicher Bumerang und bot mit der Werbefigur Marcell D’Avis bzw. der Art und Weise, wie diese Figur eingesetzt wurde, eine große Angriffsfläche für Kritiker. Und diese Kritiker sind laut und mächtig. Zumindest in ihrem Territorium, dem Internet. Sie können, wie es der Forist tao68 ausgedrückt hat, einen Shitstorm lostreten und damit Fassaden einreißen. Und dabei ist es egal, ob dies berechtigte oder willkürliche Kritik ist.

Was heißt das jetzt für die Werbung? Sollen gute Ideen so lange weichgespült werden, bis sie keine Angriffsfläche mehr bieten? Soll Werbung nicht mehr polarisieren dürfen? Soll Werbung uninteressant werden?

Oder anders gefragt: Sollen sich die Werbetreibenden der Tyrannei der Masse unterordnen? Dazu ein klares Nein. Sollen Sie dagegen versuchen, ihre Botschaft authentisch und glaubwürdig zu kommunizieren? Dazu ein klares Ja. Und das hat dann nichts mit sich unterordnen zu tun sondern mit der Bereitschaft, Werbung zu optimieren, auch wenn sie von einer großen Agentur geliefert wurde.

Mit einem Pretest der Kampagne wären mit Sicherheit Probleme hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und Sympathie offensichtlich geworden. Gerade im Hinblick auf das Service-Versprechen von 1&1 sind dies zwei entscheidende Eigenschaften, die die Werbung einfach besitzen muss. Bleibt zu hoffen, dass sich andere Unternehmen bei der Auswahl ihrer Testimonials, seien sie prominent wie Oliver Kahn für Wiesenhof oder authentisch wie die Mitarbeiter von Carglass und bei der Umsetzung der Ideen in Zukunft nicht nur auf die Agenturen sondern auch auf die bescheidene Meinung ihrer Zielgruppe verlassen werden.

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