Ein gerne gemachter Vorwurf gegenüber der Marktforschungs-Branche ist, dass Institute „Meinungen in Charts pressen“ und der Bauch dabei auf der Strecke bleibe.
Nun hat sich eine namhafte Agentur den sogenannte Hausfrauentest ausgedacht, um diese Probleme zu umgehen.
Meinungen in Charts gepresst
Ein Vorwurf, den wir natürlich ernst nehmen.
Ähnlich wie unsere Kollegen aus der Werbebranche sollten wir an unsere Zielgruppe denken und unsere Produkte so aufbereiten, dass diese in der Zielgruppe auch ankommen. So aufbereiten, dass die Ergebnisse einfach zu verstehen und die Schlüsse nachvollziehbar sind. Empfehlungen aussprechen, die in die professionelle Lebenswelt unserer Kunden integrierbar sind.
Andererseits werden die Formate und Methoden der Marktforschung natürlich nicht ganz grundlos ausgewählt. Schließlich sehen „wir Marktforscher“ unsere Aufgabe ja auch genau darin, den Bauch ein Stück weit zu führen. Gerade als Professionals im weiten Feld der Verkaufsförderung ist uns allen sehr bewusst, welche große Bedeutung der Bauch für Kaufentscheidungen hat. Aber gerade deshalb sollten wir selbst versuchen, unsere Entscheidungen eben auch mit dem Kopf zu treffen. Wer, wenn nicht wir?
Aus dem Bauch heraus
Denn das, was so schön als der Bauch bezeichnet wird, meint ja zunächst etwas wie die emotionale Anschlussfähigkeit von Ergebnissen. Da sind die Meinungen von ausgewählten Hausfrauen (oder anderen, kleinen‚ „alltäglichen Gruppen“) natürlich ein wunderbar eingängiger Weg.
Denn das, was im verlinkten Artikel so salopp als „Hausfrauentest“ bezeichnet wird, ist am Ende natürlich nichts anderes, als eine Sammlung weniger Einzelmeinungen. In einer eng umrissenen Zielgruppe. In einem gestellten Setting. Dass die drei Damen in „Deutschlands häufigstem Wohnzimmer“ sitzen ist natürlich kein Zufall.
Hausfrau Sylvia (43) mag den neuen Spot, das Produkt nutzt sie sowieso schon. Aber auch sonst. Allein die Musik.
Hausfrau Regine (52) lehnt den Spot eher ab. Die Hauptperson sieht aus wie ihr Schwager, mit dem sie gerade gestern eine anstrengende Diskussion geführt hat. Die Musik nervt und zudem hat sie auch noch schlechte Erfahrungen mit dem Hersteller gemacht. Hausfrau Viola (33) ist sich noch unschlüssig. Eigentlich verwendet ihre Familie die Produktkategorie nicht.
Und am Ende hat der Empfänger – derjenige, der etwas zu testen hatte – ein paar Aussagen für seinen Bauch.
Nun haben Einzelmeinungen gewisse Vorzüge: Sie sind einfach zu verarbeiten, sind meist zumindest recht eindeutig, schließlich weiß eine einzelne Person meist schon, ob ihr etwas gefällt oder nicht. Und – unter uns – schließlich sind es auch nur Einzelmeinungen.
So gut die drei Damen ihre Meinungen artikulieren mögen, es bleiben die Meinungen von drei Personen.
Warum Marktforschungsergebnisse oft weniger den Bauch ansprechen? Ein Grund ist sicherlich der, dass die quantitativen Forschungsansätze eben genau das zum Ziel haben: Aufgrund größerer Fallzahlen eine größere Sicherheit für eine Entscheidung gewinnen.
Vergleichen wir einmal:
- Die Agentur lässt die drei Hausfrauen in Ruhe und interessiert einen Spot anschauen. Alle drei fanden ihn sympathisch.
- Wir lassen 250 Teilnehmer aus der Zielgruppe, die genau wie im Fernsehen zunächst nur einen Kontakt hatten, einen Spot anschauen. Mehr als die Hälfte der 250 haben die Botschaft nicht verstanden.
Jeder, der sich etwas mit Statistik beschäftigt, weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, bei drei anderen Hausfrauen andere Ergebnisse zu erzielen, recht groß ist. Drei andere Hausfrauen finden den Spot vielleicht weniger gut.
Bei 250 Teilnehmern ist die Wahrscheinlichkeit dagegen sehr hoch, dass wir hier ein sehr ähnliches Resultat erzielen. Aus Sicht der Statistik sind hier nur sehr selten deutliche Abweichungen zu erwarten. 250 andere Teilnehmer bewerten den Spot sehr ähnlich.
Wem sollte man eher zuhören?
Zielgruppen
Natürlich sind Hausfrauen für viele kaufrelevante Entscheidungen verantwortlich. Aber die Welt hat sich verändert, und ist stets dabei sich weiter zu verändern.
Was für Tiefkühlpizza, frisches aus dem Kühlregal oder Reinigungsmittel noch interessant ist, dürfte bei Kosmetik für junge Frauen oder Schläfencolorierungen für den älteren Herren genauso uninteressant werden wie bei Werbung für „in-Getränke“ oder Reiseangebote für Silver-Ager.
Der Artikel verrät, dass man „aus einer Vielzahl von Hausfrauen auswählen kann“. Immerhin.
Trotzdem: Genau wie zu große Komplexität bei der Zielgruppendefinition nicht immer zielführend ist, sollte vermieden werden hier zu sehr zu simplifizieren.
Sagen versus Denken versus Handeln
Was bei dem skizzierten Verfahren noch auf der Strecke bleibt ist zum Beispiel das Nonverbale. Natürlich fragen auch wir Menschen nach ihrer Meinung. Allerdings behelfen wir uns darüber hinaus eben – branchenweit – diverser Werkzeuge, mit denen wir mehr als nur die wirklich bewussten Dinge herauszuholen versuchen. Wir bei MediaAnalyzer zum Beispiel mit dem Blickmessverfahren AttentionTracking und dem Emotionsmessverfahren EmotionTracking, andere Kollegen und Institute mit anderen Verfahren. All diese Verfahren sollen mehr herauskriegen, als das was gesagt wird.
Noch einen Schritt weiter gedacht geht es ja auch darum, mögliches Handeln zu antizipieren. Auch hier ist eine reine Gesprächsrunde mit drei Teilnehmern in der Regel eher wenig zielführend. Oder wissen Sie bereits, wenn Sie einen TV-Spot sehen, ob Sie das Produkt in Tagen oder Wochen im Supermarkt tatsächlich in den Einkaufswagen legen?
Kurz und knapp
Marktforschungsergebnisse erscheinen auf den ersten Blick sicherlich manchmal trocken und stark auf Zahlen fixiert.
Ein guter Report – und das ist die Messlatte, der wir uns unterwerfen – sollte jedoch über die reinen Zahlen hinaus auch die Bedeutung dieser Zahlen in den Fokus setzen:
- Was sagen uns diese Zahlen überhaupt?
- Wie sind die Werte zu bewerten?
- Was bedeutet all das für unsere Kunden?
- Welche Handlungsoptionen bieten sich jetzt? Welche davon sind besonders empfehlenswert?
Im Zusammenspiel von reinen Zahlen und Marktforscherexpertise betrachten wir sozusagen „Kopf und Bauch“ der Zielgruppe um darauf aufbauend unseren Kunden zu ermöglichen, rationale und begründbare Entscheidungen zu treffen.
Während der Bauch der Zielgruppe im Fokus steht, zielen wir in die Köpfe der Marketingentscheider um gute und richtige Entscheidungen zu ermöglichen.
Mit Wohlfühlmarktforschung, deren primäres Ziel es ist, Entscheidern ein „gutes Gefühl“ zu geben, ohne sich auch nur ansatzweise mit den zu Recht diskutierten Fallstricken, Herausforderungen und Methoden der modernen Marktforschung auseinander zu setzen, ist jedoch niemandem wirklich geholfen.